Neuaufbau und Retrofit von Nutzfahrzeugen

Stetig steigende gesetzliche Vorgaben für Emissionen stellen hohe Anforderungen an Nutzfahrzeughersteller. Nachdem mit den bisherigen Abgasstufen eine deutliche Reduktion von Feinstaub und Stickoxiden erreicht wurde (1-Umweltbundesamt), geht es jetzt den CO2 -Emissionen an den Kragen. Nach aktuellen Plänen der EU-Staaten soll sich der Ausstoß gegenüber 2019 um 30 Prozent bis zum Jahr 2030 reduzieren, mit einem Zwischenziel von 15 Prozent für 2025 (2-Reuters). Da die effizienten Verbrennungsmotoren wenig bis kein Optimierungspotential mehr bieten, ist die einzige Möglichkeit zur Zielerreichung der Umstieg auf emissionsarme Antriebsarten mit Batterie- oder Brennstoffzelle. In beiden Fällen wird die Kraftübertragung elektrisch erfolgen.

ELIAS
Ein wichtiger Schritt in diese Zukunft wurde mit dem Projekt ELIAS erreicht, das von Bayern Innovativ gefördert wurde. Grundlage ist dabei eine Serienzugmaschine von MAN, die durch einen Retrofit zum batterieelektrischen Fahrzeug umgebaut wird. Die am Projekt beteiligten Unternehmen sind Ansorge Logistik als Anwender, Toni Maurer als Fahrzeugbauer und Sensor-Technik Wiedemann (STW) als Elektronikspezialist für Antriebe, Energiemanagement und Sicherheit. Diese wollten aber mehr als die reine Umstellung auf einen elektrischen Antrieb. Sämtlicher Fahr- und Kabinenkomfort sollte weiterhin zur Verfügung stehen. Der Fahrer sollte keine Einschränkungen hinnehmen müssen und den „neuen“ LKW auch nicht anders als den Diesel-LKW bedienen können. Nur die bessere Fahrdynamik eines Elektromotors sollte positiv in Erscheinung treten. Mit ELIAS konnten alle diese Ansprüche erfüllt werden. Dazu kommt die Beachtung aller Vorschriften und Normen, so dass einer Zulassung beim KBA nichts im Wege steht.

Aus diesem Projekt und der über 15-jährigen Erfahrung im Durchführen von Elektrifizierungsprojekten wurde der powerMELA-Elektrifizierungsbaukasten abgeleitet, der kurze Entwicklungszyklen für komplette Elektrifizierungsprojekte ermöglicht. Neben dem eDrive-Paket, dass sich um alle Traktionsaufgaben kümmert, muss das eNergy-Paket die Energieflüsse zwischen den Energiequellen und den Verbrauchern managen. Das eSystemize-Paket kümmert sich um die projektspezifische Anpassung, die Neben- und Arbeitsantriebe und das Thermomanagement. Diese systemspezifische Komponente zum Kühlen oder sogar Temperieren aller elektrischen Komponenten ist sowohl applikations- als auch kundenorientiert auszuführen. Je nach Lebensdaueranforderungen kann das Thermomanagement zu einer komplexen Struktur anwachsen. Allen übergeordnet steht das Datenmanagement-Paket eMobilize. Es werden die systemwichtigen Daten über V2X mit intelligenten Last-, Flotten- und Infrastrukturmanagement-Systemen verbunden und so eMobility as a Service angeboten.

Das Herzstück des modularen Antriebspakets bilden zwei 140-kW-Synchronmotoren (STW-Bezeichnung: powerMELA-C). Sie geben ihre Leistung an das bestehende Getriebe des Basisfahrzeugs ab und sorgen für das notwendige Drehmoment an der Achse. Durch die Integration des Umrichters in das Motorgehäuse entfällt die Verkabelung zwischen Umrichter und Motor und es entsteht eine geschlossene, kompakte Einheit mit einer Schutzklasse von IP6k9k. Durch die Verwendung des automatisierten Schaltgetriebes und der exakt geregelten Synchronisierung erhöhen sich Fahrleistung und Fahrkomfort des Elektro-LKW erheblich gegenüber konventionell angetriebenen Fahrzeugen.

Robust
Antriebe im Nutzfahrzeug-Sektor müssen vielerlei Anforderungen erfüllen, allen voran die Robustheit. Sie ist ein ausschlaggebendes Kriterium, denn nur mit robusten Komponenten lässt sich die Wirtschaftlichkeit über die niedrigeren TCO auf Lebensdauer verwirklichen. Und die Lebensdauer hat es in sich: Während für einen Mittelklasse-PKW 250.000 km beziehungsweise 2.000 Betriebsstunden im Lastenheft stehen, werden bei Nutzfahrzeugen 1.500.000 Kilometer beziehungsweise 30.000 Betriebsstunden gefordert. Wenn abseits der Straße Anforderungen gestellt werden, dann sind sie nicht weniger hart: Die Betriebsdauer wird oft auf zwölf Jahre festgesetzt und die Betriebsstunden liegen im ähnlichen Bereich wie bereits skizziert. Die powerMELA-C-Antriebe sind genau für diesen Markt ausgelegt und bewähren sich täglich im Feldeinsatz bei vielen Kunden. Kaum harschere Bedingungen sind vorstellbar als der Einsatz des powerMELA-Systems im Pistenbully 600E+ von Kässbohrer. Schnee, Kälte, Frost, Vibration und Steinschläge verlangen die beste Qualität für einen reibungslosen Einsatz – und powerMELA liefert.

Elektromagnetische Verträglichkeit
Sehr interessant ist auch ein Retrofit, welcher älteren Fahrzeugen mit teuren Spezialaufbauten wieder neues Leben einhaucht. Doch was nützt das emissionsärmste Fahrzeug, wenn dadurch eine Neuzulassung aufgrund der elektromagnetischen Verträglichkeit nach ECE-R10 nicht mehr möglich ist? Nach Auskunft des TÜV SÜD scheitert ein erheblicher Teil der Elektrifizierungsprojekte am Einhalten der strengen Regelung, denn ohne bestandene EMV-Abnahme wird keine Einzelzulassung erteilt. Neben dem fahrzeugindividuellen Masse-, Potentialausgleichs- und Entstörkonzept und der verlustfreien Leistungsverteilung in einer Power Distribution Unit (PDU) spielt hier maßgeblich die Qualität der Komponenten eine Rolle. Die powerMELA-Antriebe erfüllen diese Anforderungen und unterstützen durch die kompakte Integration von Wechselrichter und Motor den Fahrzeughersteller, denn die Fehlerquelle „Verkabelung“ zwischen der Leistungselektronik und Antriebsmotor entfällt vollständig.

Sicher
Ein potentialfreies Hochspannungssystem auf dem Fahrzeug ohne Kontakt zum Chassis bietet die benötigte Sicherheit auf mobilen Arbeitsmaschinen. Doch diese systemimmanente Sicherheit ist brüchig, wenn Komponenten ihre elektromagnetische Verträglichkeit mit zu großen, die Isolation brückenden Entstörkondensatoren (y-Kondensatoren) erreichen müssen. Damit kein Leben gefährdet wird dürfen berührbare Bordnetze nicht über 200 mJ Energie beinhalten (Quelle: ISO 6469-3). Natürlich sind alle Kabel und Stecker berührgeschützt, doch diese Gefahr liegt nicht im natürlichen Wahrnehmungsbereich des Menschen: Sie ist unsichtbar. Daher muss im Systemaufbau auf die Ableitstrombilanz ein besonderes Augenmerk gelegt werden. Es sind nur Komponenten einzusetzen, die diese Anforderungen erfüllen. Der spezielle Aufbau der powerMELA-Antriebskomponenten garantiert höchstmögliche Sicherheit bei gleichzeitig niedrigen elektromagnetischen Emissionen.

Modular
Die Modularität spielt bei vielen Herstellern eine große Rolle. Nur so lässt sich mit den vergleichsweise hochpreisigen Komponenten ein funktionierender Elektrifizierungsbaukasten entwickeln, der sich über die gesamte Produktpalette ausrollen lässt. Die notwendige Leistung im Antriebsstrang wird durch die Kundenanforderung definiert. Ein 18-t-Verteilerfahrzeug benötigt eine andere Antriebskonfiguration wie eine 40-t-Sattelzugmaschine.

Für diese Aufgabe hat STW gemeinsam mit Rögelberg Getriebe ein Antriebspaket entwickelt. Das powerMELA-duo280 wird zusammen mit zwei powerMELA-C140 Antriebsmaschinen, Sensoren und einer Rechnereinheit, dem eDrive-Controller, geliefert. Je nach benötigter Antriebsleistung werden mehrere Maschinen der Baureihe C an dem Getriebe summiert und elektronisch synchronisiert. Das bietet den Vorteil, dass sich die Modularität des Antriebsstrangs über die gesamte Flotte des OEM deutlich erhöhen lässt. Durch den SAE1-Flansch können Fahrzeuggetriebe direkt weiterverwendet werden, wodurch die Wirkungsgrade des Systems unabhängig vom Lastpunkt der Einzelmaschine werden.  

Der grundlegende Aufbau des Fahrzeugs muss nicht in Frage gestellt werden, denn das Antriebspaket fügt sich nahtlos in die bestehende CAN-basierte Fahrzeugarchitektur ein. Die gesamte J1939-Umgebung bleibt erhalten, so dass die typischen Antriebsstrang-Teilnehmer wie Bremsmanagementsysteme oder Chassis-Controller beibehalten werden können und einen sicheren Betrieb des Fahrzeugs ermöglichen.

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