Londoner Nahverkehr revolutioniert

Abgasnachbehandlung und Cloud Services – wie passt das zusammen? Nicht nur als akademischen Ansatz (theoretische Abhandlung), sondern als konkrete Anwendung hat die Firma Sensor-Technik Wiedemann (STW) gemeinsam mit ihrem Kunden HJS Emission Technology eine Lösung für das Remote Condition Monitoring von Abgasnachbehandlungssystemen für den Londoner Nahverkehr umgesetzt.

Schon seit Jahren sind die Abgasemissionen von Dieselfahrzeugen ein beinahe täglicher Bestandteil der öffentlichen Debatte. Im September 2012 stufte die International Agency for Research of Cancer der WHO derartige Abgase als Schadstoffgemisch der Gruppe 1 ein. Somit stellte sie diese in Hinblick auf ihre krebserregende Wirkung beim Menschen auf eine Stufe mit Asbest, Arsen- oder Senfgas. In zunehmendem Maß müssen gesetzliche Vorgaben und Grenzwerte für die Luftreinhaltung auf Landes- und Europaebene umgesetzt werden. Gerade für die teilweise hoch belasteten Metropolregionen besteht dringender Handlungsbedarf, diese Vorgaben zu erfüllen. Besonders der öffentliche Nahverkehr trägt dort zu einem großen Teil zur Luftverschmutzung bei, da oftmals im Stop-and-Go Betrieb unnötig Abgase ausgestoßen werden und die Motoren in ungünstigen Betriebszuständen ihre Arbeit verrichten müssen.

Diese Tatsache bietet wiederum einen idealen Ansatzpunkt für mögliche Verbesserungen. Die in Teilen von Deutschland eingeführten sogenannten Umweltzonen erlauben als regionales Verkehrsverbot in Ballungsräumen und Großstädten nur noch die Einfahrt emissionsarmer Fahrzeuge. Außerhalb Deutschlands ist derzeit Großbritannien und dort speziell London ein bedeutender Wegbereiter der Umsetzung von Maßnahmen zur Luftreinhaltung. So hat Londons Bürgermeister Sadiq Khan bald nach seinem Amtsantritt im vergangenen Jahr seinen „Clean Air Action Plan“ in Kraft gesetzt und sogenannte Low Emission Zones (LEZ) eingerichtet. Eine weitere Verschärfung soll ab September 2020 durch die Einführung von Ultra Low Emission Zones (ULEZ)  folgen. Die mehr als 1500 Quadratkilometer große Zone erstreckt sich über den gesamten Großraum London. Für die Einfahrt und den Betrieb von LKW, Bussen, Lieferwagen und den gesamten Schwerlastverkehr, der keine entsprechende Einhaltung der geforderten Abgasqualität nachweisen kann, werden Tagesgebühren zwischen 100 und 200 Pfund pro Fahrzeug fällig. Wer ohne zu bezahlen dennoch in der kameraüberwachten Zone erwischt wird, muss mit Strafen zwischen 250 und 1000 Pfund rechnen. Um die Vorgaben zu erfüllen und den weiteren Betrieb sicherzustellen, sind viele der Fahrzeuge daher auf die Nachrüstung von Abgasnachbehandlungssystemen für Dieselmotoren angewiesen.

Die von der Firma HJS Emission Technology angebotenen SCRT® (Selective Catalytic Reduction Technology) Retrofit Systeme reduzieren durch Zusatz von Harnstoff (AdBlue®) und Einsatz von Partikelfiltern und Katalysatoren in mehreren Schritten Rußpartikel und Stickoxide (NOx). Das System besteht aus Temperatur- und Differenzdrucksensoren, einem NOx-Sensor sowie einem Einspritzsystem für den Harnstoff. Ein Controller überwacht über den CAN-Bus des Fahrzeugs die notwendigen Betriebsparameter und berechnet exakt die notwendige Einspritzmenge zur Ansteuerung der Harnstoffpumpe.  Die Nachbehandlung ist so effektiv, daß ein nachgerüstetes Euro III IV/V Fahrzeug annähernd die Euro VI Abgasnorm erfüllt. Somit sind die Abgase der im Retrofit ausgestatteten Fahrzeuge bereits besser aufbereitet, als die vom Hersteller derzeit nach Euro IV und V Standard ausgelieferten. Bis 2021 sollen bereits mehr als 5.000 Busse von Unternehmen, die für Transport for London unterwegs sind, mit Nachrüstlösungen ausgestattet sein.

Dem Busfahrer werden dann über ein Informationssystem Warnungen und Fehlermeldungen in mehreren Stufen signalisiert. Dies beinhaltet eine Warnmeldung bei niedrigem Füllstand des AdBlue® Zusatztanks. Wird der Tank nicht wieder aufgefüllt, erfolgt über die Fahrzeugsteuerung im ersten Schritt eine spürbare Leistungsreduzierung der Antriebsmaschine um ca. 30-40%. Der gleiche Mechanismus greift bei einer Fehlfunktion oder einem Ausfall des Schadstoffreduktionssystems. Falls der Fehler nach einer gewissen Zeit nicht behoben wird, also das Nachfüllen des Harnstofftanks oder Fehlersuche- und Behebung durch eine Werkstatt, wird die Leistung der Antriebsmaschine soweit heruntergesetzt, daß nur noch ein Notbetrieb möglich ist. Auf diese Weise soll verhindert werden, daß Fahrzeuge mit nicht funktionierenden Systemen im Einsatz sind. Aufgrund der Tatsache, daß oftmals die Zyklen für Abgastests nicht mit den realen Bedingungen vergleichbar sind, besteht ein hohes Interesse an der Ermittlung des tatsächlichen Schadstoffausstoßes im täglichen Fahrbetrieb. Wegen der weiterhin bestehenden Nachweispflicht sollen die maßgeblichen Daten zudem zentral erfaßt und für zunächst 60 Tage gespeichert werden. Ebenso muß der Live-Zugriff auf aktuelle Parameter bei Bedarf mit Antwortzeiten im Bereich weniger Sekunden gegeben sein. Es genügt daher nicht mehr, beispielsweise nur einmal am Ende des Tages aggregierte Daten zu senden.

Die Umsetzung des Real Time Condition Monitoring gelang durch den Einsatz der Telematikplattform ESX-TC1 sowie des Device und Application Management Portals „machines.cloud“ der Firma STW mühelos. Die speziell für den mobilen Einsatz in rauen Umgebungen optimierte TC1 mit Embedded Linux System verfügt unter anderem über ein integriertes GPS-Modul, ein Mobilfunkmodem und zwei CAN-Schnittstellen für das Auslesen der gewünschten Parameter aus dem vorhandenen Fahrzeugbus. Die so aufgezeichneten Parameter werden zuverlässig mit einem Zeitstempel versehen und bei Verfügbarkeit einer Internetverbindung drahtlos an das STW Telematik/IoT-Portal „machines.cloud“ übertragen. Dort können jederzeit aktuelle Performanceparameter, Standort- und Statusmeldungen visualisiert werden. Für die weitere Auswertung stehen dort selbstverständlich auch die historischen Daten zur Verfügung. Durch das einzigartige „Live-Widget“ wird bei Bedarf ein Datenkanal direkt zum Fahrzeug aufgebaut und Werte im Sekundentakt gesendet und angezeigt. So lassen sich aktuelle Werte wie beispielsweise die NOx-Reduktion, Feinstaubpartikelreduktion, der Füllstand des Harnstofftanks, aktueller Standort und Geschwindigkeit sowie mögliche Fehlermeldungen und Alarme einzelner Fahrzeuge oder Fahrzeuggruppen oder der gesamten Flotte überwachen. Die historischen Daten können mit dem Reporting entsprechend der Vorgaben auf Stunden-, Tage-, Wochen- oder Monatsbasis exportiert werden.

Durch die Erweiterbarkeit und die offenen Schnittstellen der Cloudlösung lassen sich Schnittstellen zu bestehenden CRM- oder ERP-Drittsystemen unkompliziert realisieren. Gleiches gilt für die Einbindung kundeneigener Applikationen. Auch eine Systemerweiterung zur ergänzten Fahrerinformation ist möglich: Eine App auf einem Tablet könnte es dem Fahrer erlauben, exakte aktuelle und gemittelte Parameter abzufragen. Ebenso ließen sich Passagiere im Fahrzeug oder an Haltestellen über ein Fahrgastinformationssystem öffentlichkeitswirksam informieren. Die Datenanbindung könnte dabei entweder direkt über das Fahrzeuggateway TC1 oder auch davon unabhängig über die Cloud realisiert werden. Durch die Vernetzung aller Komponenten mit der Telematikplattform ESX-TC1 bis zur Integration in „machines.cloud“ konnten so alle Anforderungen erfüllt werden.

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